Mit dem Turban im Schützengraben
Schwer vorstellbar, dass Turbanträger an der Seite der Entente im ersten Weltkrieg gekämpft haben – aber ja! Es gab sie. Im deutschen Geschichtsunterricht wurden einem diese Informationen meist vorenthalten. Umso interessanter ist es, den ersten Weltkrieg einmal aus der Perspektive der damaligen Kolonien zu betrachten.
Wenn Inder vom ersten Weltkrieg sprechen, tun sie das mit gemischten Gefühlen. Einige sind stolz, dass Indien gemeinsam mit den Alliierten Geschichte geschrieben hat. Andere schämen sich und meinen es war ein Krieg der ehemaligen Kolonialherren. Die zwiespältigen Gefühle führten wohl dazu, dass in den vergangenen hundert Jahren wenig über den ersten Weltkrieg gesprochen wurde. Ein vergessener Krieg. Und das obwohl mitten in Neu-Delhi, das India Gate, täglich an die Gefallenen erinnern sollte. Die Briten haben das Denkmal einst erbaut. Bis heute gibt es jedoch kein Denkmal vom Indischen Staat für ihre gefallenen Soldaten im ersten Weltkrieg.
Insgesamt wurden mindestens 60.000 Inder getötet. BBC geht sogar so weit zu schreiben, dass mehr indische Soldaten das ehemalige Empire verteidigt haben, als Briten selbst. Die indischen Soldaten kämpften an der Seite der Briten in Frankreich, im belgischen Flandern oder auch im Mittleren Osten. Die meisten Inder folgten wohl nicht aus purem Idealismus den Briten in den Kampf, sondern aus finanziellen Gründen. Auch in meiner erweiterten indischen Familie bekommt noch ein älterer Herr eine gute Rente vom britischen Staat.
Einige Inder hofften damals auch, dass Indien aufgrund der Unterstützung der Kolonialmacht nach dem Ende des Krieges als Dank mehr Freiheiten erhalten würde. Mit ein bisschen mehr Selbstbestimmung wurden sie auch tatsächlich nach dem ersten Weltkrieg belohnt, jedoch nicht mit der von vielen ersehnten Unabhängigkeit. Das steigerte die Unzufriedenheit der Inder und förderte den Nationalismus. Vielleicht kann man den ersten Weltkrieg sogar als einen Auslöser der Unabhängigkeitsbewegung sehen.
Laut des indischen Historikers, Srinath Raghavan, gab es am Ende des Krieges sogar kurz die Diskussion, ob Indien nicht einen Teil der ehemaligen deutschen Kolonien in Afrika erhalten sollte. Damals hatte die indische Bevölkerung keine einheitliche negative Haltung gegenüber den Deutschen. Manchmal kam sogar die Frage auf, ob man nicht mit Deutschland verhandeln sollte, um aus dem Schatten Großbritanniens zu gelangen.
Historiker in Indien sind noch nicht sicher, wie genau der erste Weltkrieg zur indischen Geschichte passt. Man hat das Gefühl, dass die Diskussion im Jubiläumsjahr nach hundert Jahren neu entfacht wurde. Fotos von Soldaten mit Turban in europäischen Schützengräben werden hervorgekramt. Die Inder erinnern sich endlich an einen zuvor vergessenen Krieg. Und vielleicht wird ja auch bald ein indisches Denkmal für die gefallen indischen Soldaten errichten. Die indische Regierung hat das Geld dafür jedenfalls bereits bewilligt.